Der hörnerne Siegfried: Das fünfte Abenteuer

Wie ihn der Riese zweimal verriet


Da sprach der starke Riese   zum werten Ritter mehr:
„Weiß Gott, Gesell, mich schmerzen   die Wunden allzu sehr.“
Da riss er ab vom Leibe   sein seidenes Gewand,
Womit er selbst die Wunden   dem Ungetreun verband.

Da sprach der Ungetreue:   „Nun wiss, Geselle mein,
Dahinten ist die Steinwand.“   „Wo mag die Türe sein?“
„Das wollen wir besehen,   du tugendreicher Mann;
Was einer tat dem andern,   das sei nun abgetan.“

Sie gingen miteinander   vor eines Wassers Damm:
Wie bald der Ungetreue   sein Schwert zu Handen nahm!
Und als der kühne Siegfried   ging vor ihm in den Wald,
Da sprang der Ungetreue   auf Siegfried los alsbald.

Er gab dem kühnen Siegfried   einen ungefügen Schlag,
Dass unter seinem Schilde   der edle Ritter lag
So ganz in der Gebärde,   als ob er wäre tot;
Vom Mund und aus der Nase   schoss ihm das Blut so rot.

Da unter seinem Schilde   nun lag der Held Siegfried,
Da kam das Zwerglein Eugel,   das gern sein Wohl beriet,
Es nahm eine Nebelkappe   und warf sie über ihn her:
Wie Feind ihm war der Riese,   er sah ihn jetzt nicht mehr.

Er lief hin zu den Bäumen   und sucht‘ den werten Mann.
„Hat dich entführt der Teufel   oder hat es Gott getan?
Tat er an dir ein Zeichen?   Hier lagst du doch zuvor
Bei deinem Schild: Wie kommt es,   dass sich dich jetzt verlor?“

Der Rede musste lachen   das Zwerglein wonnesam;
Es reichtet‘ auf Siegfrieden   und setzt‘ ihn auf den Plan.
Da saß eine gute Weile   der auserwählte Mann
Bis dass der kühne Degen   des Lebens sich besann.

Da nun der edle Siegfried   ein wenig zu sich kam,
Da sah er bei sich sitzen   das Zwerglein wonnesam.
„Nun lohn dir Gott,“ sprach Siegfried,   „du wunderkleiner Mann,
Ich kann nicht anders sagen,   du hast mir wohl getan.“

Da sprach das Zwerglein Eugel:   „Das musst du mir gestehn,
Kam ich dir nicht zu Hilfe,   dir wär noch mehr geschehn.
Nun folge meiner Lehre,   entschlag der Maid dich gar,
Flieh in der Kapp, so wird dich   der Riese nicht gewahr.“

Da sprach der kühne Siegfried:   „Das kann fürwahr nicht sein,
Und hätt ich tausend Leben,   wiss auf die Treue mein,
Die wollt ich alle wagen   um die Jungfrau wohlgetan.
Ich wills aufs neu versuchen,   ob ich sie retten kann.“

Wie ritterlich der Degen   die Kappe von sich warf!
Das Schwert in beiden Händen   hieb er acht Wunden scharf
Dem ungefügen Manne;   laut rief er auf zu ihr.
Zu Tode wär geschlagen   der starke Riese schier.

„Du fichtst mit solchen Kräften   als wären deiner acht:
Ich seh dich doch alleine   da stehn mit kleiner Macht.
Und schlägt du mich zu Tode,   du auserwählter Mann,
So ist auf Erden niemand,   der zu der Jungfrau kann.“

Mit mancherlei Gedanken   der edle Siegfried rang
Vor übergroßer Liebe,   die ihn zur Jungfrau zwang:
Am Leben musst er lassen   den ungetreuen Mann.
Er sprach: „Geh deiner Straßen   und schreite mir voran.

Und weise mich auch balde   zum schönen Mägdelein,
Sonst schlag ich dir das Haupt ab   und fiel die Welt drum ein.“
Da musst der Ungetreue   wohl leisten in der Not
Was ihm der kühne Siegfried,   der junge Held, gebot.

Sie gingen miteinander   wohl vor den Drachenstein:
Da stieß der Ungetreue   den Schlüssel bald hinein
Der Stein ward aufgeschlossen   und unten aufgetan;
Acht Klafter unter der Erde   die Türe wies der Mann.

Als der Stein ward entschlossen   und unten aufgesperrt,
Wie bald griff nach dem Schlüssel   Siegfried der Degen wert!
Er hatt ihn von dem Schlosse   gerissen bald hindann.
Er sprach: „Heb dich der Straße,   geschwinde geh voran.“

Sie wurden beide müde,   eh sie kamen auf den Stein.
Da nun Siegfried der kühne   ersah die Jungfrau rein,
Da hub sie an zu weinen;   mit Schluchzen rief sie aus:
„Ich sah dich, edler Ritter,   in meines Vaters Haus.“

Sie sprach: „Du bist Herr Siegfried,   sollst mir willkommen sein.
Wie lebt mein Vater und Mutter   zu Worms wohl an dem Rhein?
Und meine lieben Brüder,   die Könge tugendlich?
Sag an bei deiner Treue,   der lass genießen mich.“

Da sprach der edle Siegfried:   „Schweig, lass deinen Weinen sein,
Du sollst mit mir von hinnen,   du schöne Jungfrau rein.
Ich will dich bald erlösen   aus dieser großen Not,
Oder ich sterbe wahrlich   hier selber drum den Tod!“

„Nun lohne Gott dir, Siegfried,   du Ritter auserkannt;
Doch fürcht ich tust du nimmer   dem Drachen Widerstand.
Er ist der grimmste Teufel,   der jemals ward gesehn,
Und wirst du sein ansichtig,   so musst dus selbst gestehn.“

Da sprach der kühne Siegfried:   „Er mag so arg nicht sein;
Ich hab nicht gern verloren   die große Arbeit mein.
Ich hab so sehr gestritten   mit dem ungefügen Mann:
Wär er der Teufel selber,   so griff ich doch ihn an.“

„Nun lohne Gott dir, Siegfried,   du hast die große Pein
Um meinthalb erlitten,   die Not für mich allein.
Und hilft mir Gott zu Lande,   so wiss ohne allen Wahn,
Hab meine Treu zu Pfande,   kein andrer wird mein Mann.“

Da trat auch zu dem Steine   der Reise Kuperan.
Er sprach: „Hie ist verborgen   ein Schwert gar wohlgetan,
Damit den Drachen zwinget   ein edler Rittersmann;
Keine Kling ist sonst auf Erden,   die den Drachen zwingen kann.“

Was von dem Schwert er sagte,   die Wahrheit sprach er dran.
Als er sich da nicht hütete   vor dem ungetreuen Mann,
Da schlug der starke Riese   dem Ritter eine Wund,
Dass er kaum mit einem Beine  auf dem Drachensteine stund.

Der Held ergriff den Riesen,   sich hub ein Ringen groß,
Davon der Stein erzitterte;   der Jungfrau Schreck war groß.
Sie weint‘ und wand die Hände,   die zarte Jungfrau rein,
Sie sprach: „Ach Gott vom Himmel,   steh heut dem rechten bei!

Sollst du um meinetwillen   verlieren deinen Leib,
So trägt mein Herz viel Jammer    und Pein, ich armes Weib.
So will ich mich verfallen   aus dieser großen Not,
Von diesem hohen Steine,   dass mich erlöst der Tod.

Darum du kühner Siegfried,   bewahre deinen Leib
Und denk an deine Nöte   und an mich armes Weib.“
Da sprach der Degen Siegfried:   „Du schönes Mägdlein hehr,
Ich will mich schon behüten,   sorg nur um mich nicht mehr.“

Sie rangen miteinander,   das sah das schöne Weib:
Da musst der Ungetreue   verlieren seinen Leib.
Siegfried griff in die Wunden   dem ungefügen Mann
Und riss sie auseinander,   dass ihm die Kraft entrann.

Der Ries begann zu sinken   vor Siegfried auf den Plan:
„Du sollst mich leben lassen,   du tugendhafter Mann:
Darum will ich dich bitten,   du Ritter unverzagt;
Ich ward dir zweimal treulos,   dem Himmel seis geklagt.“

Da sprach der kühne Siegfried:   „Deine Red ist gar verloren,
Da ich nun seh mit Augen   die Jungfrau hoch geboren.“
Er nahm ihn bei dem Arme   und warf ihn von dem Stein:
Er sprang zu tausend Stücken;   das freute das Mägdelein.

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