Wie Walther mit Hildegunden entrann
Als nun zur Siegesfeier erschien der frohe Tag,
Da war mit Pracht gerüstet das festliche Gelag.
Der stolze Walther brauchte die Kosten nicht zu scheun,
Er wollte reicher Beute sich heut zuletzt noch erfreun.
Mit Samet war umhangen die Halle wie der Saal,
Da König Etzel eintrat und Helke sein Gemahl.
In Seid und Purpur prangte der beiden hoher Thron;
Bei ihnen saß Herr Walther: das ward dem Sieger zum Lohn.
Wohl hundert Tafeln standen im Saal umher gereiht.
Den edeln Tischgenossen ließ man kaum die Zeit
Die Schüsseln all zu leeren, die man zur Stelle trug;
Auch fehlt‘ es nicht an Weinen: Die waren köstlich genug.
Vom weißen Tischtuch glänzte der Trinkgefäße Gold:
Dem kunstgetriebnen Becher ist jeder Zecher hold.
Zum Trinken reizt die Schale, zum Trinken lockt der Wein,
Nun mahnt auch noch Herr Walther: Wer möchte da säumig sein?
Bald hob man ab die Tafel, die Esslust war gestillt,
Es blieb des Tranks Begierde, der schäumend überquillt.
Weg stahlen sich die Frauen, wie man nach Sitte pflag:
Nun sollt erst recht beginnen das frohe Zechergelag.
Da trat zum Heunenkönig Herr Walter bittend hin:
„Wenn ich euch einer Gnade, Herr Etzel, würdig bin,
So sei mir das zum Lohne, dass ihr das Eis uns brecht,
Die säumgen Kampfgenossen ermahnt zu tapferm Gefecht.“
Da nahm er einen Humpen, groß, rund und weit;
Drauf standen eingegraben Geschichten alter Zeit.
Er war aus Gold gebildet, und golden war der Wein,
Mit dem ihn Walther füllte; schier ging ein Anker hinein.
So reicht‘ er ihn dem König: „Es war der Väter Brauch,
Wer diesen Kopf nicht leerte, der hieß ein feiger Gauch.
Ihr seid der Väter würdig, Herr Etzel, trinkt und wir
Verachten den Verzagten, der nicht Bescheid tut wie ihr.“
Die Helden alle lachten; Herrn Etzel war nicht bang
Vor einem vollen Becher: Er nahm ihn in Empfang:
Mit beiden Händen hob er ihn mühsam an den Mund,
Mit einem Zuge leert‘ er den Humpen aus auf den Grund.
„Folgt alle meinem Beispiel,“ so sprach der König hehr.
Der Becher war erleichtert, ihm war der Kopf nun schwer.
Die schnellen Schenken nahmen da Fass auf Fass in Zapf;
Sie mussten oft noch füllen den riesenmäßigen Napf.
Da sah man manchen sinken, der fest im Kampfe stand,
Man hörte Greise lallen wie Kinder an Verstand.
Im Saale jauchzend tobte der Helden wilder Schwarm:
Der sang, der sprang, der weinte, der lag schon in des Schlafes Arm.
So ließ der Wirt sie zechen bis in die tiefe Nacht:
Wer ging, der wurde höfisch von ihm zurück gebracht.
Das währte, bis sie alle von Wein und Schlummer schwer
Zu Boden taumelnd sanken in alle Winkel umher.
Da stand im weiten Saale Herr Walther ganz allein
Mitten unter Schläfern bei heller Kerzen Schein.
Hätt er die Fackel zündend das Haus in Brand gesteckt,
Den Täter hätte keiner der armen Opfer entdeckt.
Da sucht‘ er Hildegunden, die er im Hofe fand;
Was er sie schaffen heißen war alles bei der Hand.
Er ging zum Stalle weiter und nahm das beste Pferd;
Es ward der Leu geheißen und war des Namens auch wert.
Mit Wiehern stands und stampfte wie ein Streitross soll;
Dem Mund, als er es zäumte, der weiße Schaum entquoll.
Gern litts Gebiss und Sattel, die Schätze nicht so gern
In den zwei schweren Schreinen: Es trüge lieber den Herrn.
Zu beiden Seiten hingen sie nun dem edeln Tier:
So führt‘ ers aus dem Stalle und gab die Zügel ihr.
Er selber ging sich wappnen, der Held von Riesenart;
Der Panzer war gewaltig, mit dem die Brust er verwahrt.
Dann schließt er goldne Schienen sich um der Schenkel Kraft,
Den Helm, den rot bebuschten, er schnell zu Häupten rafft,
Umgürtet sich die Lende mit doppelschneidgem Schwert;
Nach Heunensitte ward auch die rechte Seite bewehrt.
Es war ein starkes Halbschwert, das grimme Wunden schnitt.
Noch nahm er Schild und Lanze, der edle Held, und schritt
Von Haupt zu Fuß gerüstet aus dem verhassten Land.
Sie ging dem Ross zur Seite und hielt den Zaum in zarter Hand.
Dazu die Angelrute hatt er der Maid vertraut.
Wohl musst er so beschweren die wunderschöne Braut:
Genug zu tragen hatt er an seiner Waffen Last,
Und stets im Heunenlande hielt er auf Kampf sich gefasst.
Mit großen Schritten zogen die beiden durch die Nacht;
Doch als die Morgenröte den neuen Tag gebracht,
Da suchtens ie den Schatten der Waldeseinsamkeit
Und ruhten nur im Dickicht, Verrat besorgend und Streit.
So pocht die Furcht im Herzen der königlichen Magd,
Dass sie vor jedem Lüftchen, vor jedem Laut verzagt.
Sie wähnte sich verraten wenn wo ein Zweiglein fiel,
Vögel und Falter trieben mit ihren Ängsten ihr Spiel.
Sie mieden Städt und Dörfer und das gebaute Feld.
Wo niemals eine Holzaxt der Eiche Wucht gefällt,
Auf krummen Wegen pfadlos gings über Berg und Tal:
Sie trieb der Heimat Liebe, der Hass der Knechtschaft zumal.
Die Heunen aber lagen bewusstlos hingestreckt
Bis sie mit vollen Strahlen die Mittagssonne weckt.
Da spähn sie nach dem Führer vergebens rings im Saal
Ihn dankend zu begrüßen nach seinem üppigen Mahl.
Herr Etzel auch erwachte; da hielt er Stirn und Schopf
Sich fest mit beiden Händen wie gestern jenen Kopf,
Und stieg herab vom Throne wo er entschlummert war.
Er rief Herrn Walthers Namen: Den ward er nirgend gewahr.
Er gedacht ihm wohl zu klagen des wüsten Haupts Beschwer.
Da sagten ihm die Diener, sie sähn ihn nirgend mehr.
Der König aber dachte, man fänd ihn wohl noch dort,
Wo er sich auserkoren zum Schlaf den heimlichen Ort.
Da kam aber Helke, sein königlich Gemahl,
Die Hildegunden misste seit erstem Morgenstrahl,
Als sie die Kleider säumte zu bringen wie sie pflag:
Sie mehrte seinen Kummer und rief: „Unseliger Tag!
Den nimmer wird verwinden der Heunen Land und Reich,
Der unsre Macht erschüttert, zerstört mit einem Streich.
O dass wir nimmer hätten getrunken seinen Wein,
Nie seine Kost gegessen: Er mischte Gift uns hinein.
Was ich dem König warnend so lang voraus gesagt,
Nun ist es eingetroffen: Das Leid sei Gott geklagt!
Gewichen ist die Säule, die unser Reich gestützt,
Dahin sind Kraft und Tugend, die uns geschirmt und geschützt.
Herr Walther ist entronnen, der Heunen leuchtend Licht,
Und die ich auferzogen, Hildgunden find ich nicht.
So flohen sie zusammen und dieses Fest ersann
Allein uns zu bethören der junge listige Mann.“
Als Etzel das erhörte, da rauft‘ er sich das Haar;
Vor Kummer weinte heute, der gestern fröhlich war.
Vom Haupt bis zu Den Füßen zerriss er sich das Kleid
Und kam nicht zum Entschlusse, mit sich in währendem Streit.
So treiben Wolken Staubes die Winde hin und her,
So schwankt ein Schiff geschaukelt auf sturmempörtem Meer.
Der Zorn ließ ihn nicht sprechen; doch ward wohl außen kund
Was er im Innern fühlte, verschwieg sein Leib auch der Mund.
Er mied so Trank als Speise; ihn aber mied die Ruh,
Als Nacht mit ihrem Schleier die Müden deckte zu.
Wohl warf er sich zu Bette und suchte was ihn floh,
Bald rechts bald links sich wendend; es half nicht so und nicht so.
Oft mit dem Haupte fuhr er empor in jähem Schmerz,
Als ging ein scharfes Eisen ihm mitten durch das Herz;
Oft blieb er lange sitzen im Bett besinnungslos.
Da das nicht half, dem Lager entsprang er aller Kleider bloß,
Lief wie vom Alb besessen umher im Schlafgemach
Und durch die nächsten Kammern bis alle Schläfer wach;
Doch fand er nicht den Schlummer und fand die Ruhe nicht.
So spann unleidlich lange die Nacht sich hin zum Morgenlicht.
Wie das begann zu grauen, berief der König hehr
Die Fürsten und die Freunde, dazu der Helden Heer.
Er sprach: „O wenn mir einer den ungetreuen Mann
Gebunden wieder brächte, den Walther, der mir entrann!
Und brächt er ihn erschlagen, er wäre mir nicht leid:
Zum Lohn wollt ich ihm geben von lauterm gold ein Kleid,
Ihn rings mit Gold beschütten, dass wenn er aufrecht steht
Den Weg ihm Schätze sperren, und er mich selbst zu enden fleht.“
So sprach der Große König in seiner Mannen Kreis.
Wo wurde je geboten so ungeheurer Preis?
Er mochte sie wohl locken, sie waren Schätzen hold
Und auch des Ruhms begierig; doch wer verdiente den Sold?
Die Fürsten und die Grafen, die Ritter all und Herrn,
Sie hatten Ruhm erworben in Schlachten nah und fern;
Doch jetzt mit Schweigen blickten sie all einander an:
Böt Etzel goldne Berge, doch würd es nimmer getan.
Sie wollten all nicht gerne den Helden zornig sehn,
Schwert gegen Schwert gezogen ihm gegenüber stehn.
Zu große Wunder hatt er getan mit seiner Hand:
Herr Walther zieh in Frieden: Es wird ihm keiner nachgesandt.