Wie Hagen entrann und Frau Helke Etzel warnte
Herr Etzel, da er wieder in seinem Reiche saß,
Für seine edeln Geisel zu sorgen nicht vergaß.
Die Knaben pflegt‘ er selber, als wärs sein Fleisch und Blut;
Die Jungfrau befahl er in seiner Königin Hut.
Er ließ nicht aus den Augen die jungen Fürsten wert,
Alle Friedenskünste hat er sie selbst gelehrt,
Noch mehr was man zu wissen bedarf im Schlachtgetös:
Sie waren sehr gelehrig und schnell zu Hieb und zu Stoß.
Man sah sie bald erwachsen an Kräften und an Sinn,
Schon warfen sie im Ringen die Allerstärksten hin.
Die Weisen und die Alten bezwang ihr Witz im Spiel:
Die sie bestanden hätten, der Heunen warne nicht viel.
Als Etzel das erkannte, zog er sie andern vor,
Zu seinen Scharmeistern der König sie erkor.
Das mochten sie verdienen: Wenn es zum Kampfe kam
Und sie das Beste taten, war ihnen niemand mehr gram.
So fügt‘ es Gott vom Himmel, dass sie gefangne Maid
Frau Helkens Gunst erlangte durch treue Dienstbarkeit.
Sie ließ es nimmer fehlen an Klugheit noch an Fleiß,
Tät alles frei und harrte nicht auf der Herrin Geheiß.
Da durft ihr wohl Frau Helke die Schlüssel anvertraun,
Des Kämmreramts zu walten vor allen ihren Fraun.
Man ließ sie tun und schaffen wie eine Königin:
Der war sie gleich; ihr fehlte nichts als der Freiheit Gewinn.
Derweile war gestorben Gibich der König hehr.
Die Krone nahm da Gunther: Dem fiel gehorchen schwer:
Da wollt er nicht den Heunen mehr zinsen, noch dem Bund
Seines Vaters halten: Das ward an Etzels Hofe kund.
Herr Hagen auch erfuhr es, der dort vergeiselt war,
Wo er als Meister diente der kühnen Helden Schar.
Da sehnt‘ er sich nach Hause und sieh, er war entflohn
An einem frühen Morgen; nur Walther wusste davon.
Da sprach zu König Etzel Helke die Königin;
Sie zog zu weisen Räten aus Hagens Flucht Gewinn:
„Nun sieh dich vor, o König, der Gott so viel verdankt,
Dass deines weiten Reiches gewaltge Säule nicht wankt.
Der junge Geisel Walther, dem du dein Heer vertraut,
In dem der Feind die Stärke der Heunenmacht erschaut,
Dass der dir nicht entfliehe, wie Hagen dir entrann:
Ihn treibt dazu, besorg ich, seines Freundes Beispiel an.
„Beherzge meine Warnung und tu nach meinem Rat:
Sobald dein junger Zögling dir heute Morgen naht,
So sprich mit holden Worten zu ihm: Mein lieber Freund,
Wie hat des Krieges Arbeit dein junges Antlitz gebräunt!
Du warst ein zarter Knabe, da du gen Heunland kamst
Und unter meiner Pflege zuerst die Waffen nahmst.
Mir ist an dir gelungen, du bist ein starker Mann,
Ich zähle viel der Lande, die deine Kraft mir gewann.
Du hast in meinem Dienste dein Leben nie gespart,
Dich als ein Held erfochten in mancher Heeresfahrt.
Das denk ich dir zu lohnen, damit die Tat sofort
Dir unsre Gunst erweise mehr als das trügliche Wort.
Wohlan denn, so erwähle dir eine holde Braut,
Die reichste die du findest, die sei dir angetraut.
Junger Königinnen sind bei den Heunen viel:
Bekenne mir, ob keine noch deinen Blicken gefiel?
Die geb ich dir zu Lohne, dazu ein weites Land,
So ist dir all dein Leben die Sorge fern gebannt.
Wenn er das eingeht,“ sprach sie, „dass er die Heunin minnt,
So mögen wir ihn fesseln, dass er uns nimmer entrinnt.“
Der Rat gefiel dem König: Da war es bald getan:
Herrn Walthern ließ er kommen und trug die Braut ihm an.
Da sprach der junge Degen, der schon im Sinne trug
Was er hernach vollbrachte; der Held war höfisch und klug:
„Herr, eure Güte schafft es und nicht mein eigner Wert,
Dass ihr mir so viel Gnade für mäßgen Dienst gewährt.
Ich kann es nie vergelten, dass ihr so hoch es schätzt,
Wenn ich für euch mein Leben je auf die Waage gesetzt.
Dem Herrn getreulich dienen geziemt allein dem Knecht:
Wollt er noch Lohn begehren, so bräch er selbst sein Recht.
Die ihr mir, Herr, geboten, die reiche Heunenbraut –
Wär ich nach euerm Willen der allerschönsten getraut,
Ich müsst an ihren Blicken nur hängen all die Frist,
Die euer Reich zu mehren, mein Fürst, gewidmet ist.
Sollt ich mein haus bestellen und hinterm Pfluge gehn,
So wär es um den Helden und um den Feldherrn geschehn.
Ich will mich nicht verliegen und kosten süße Ruh,
Der Arbeit mich entwöhnen, es ist zu früh dazu.
Noch lüstet mich zu kämpfen, noch schwellt mir Kraft den Arm;
Ich weiß mir keine Freude als kühne Tat im Feindesschwarm.
Auch mag ich Frauenwinken, ich hab es keinen Hehl,
So gerne nicht gehorchen als meines Herrn Befehl.
Wohin ihr mich auch rufet, es sei bei Tag, bei Nacht,
Ich folg euch gern zu Hofe und gern zur blutgen Schlacht.
Mich zieht zum weichen Bette zurück kein liebes Weib,
Noch flehn mich zarte Kinder zu sparen meinen Leib.
So lasst mich immer bleiben zu euerm Dienst bereit,
Der mehr als Herr und König ein treuer Vater mir seid.
Wenn ihr vom Krieg einst rastet, nicht mehr der Schlacht gedenkt,
Da schon der Welt die Heunen gebieten unbeschränkt,
So mag auch ich wohl feiern und frein ein hold Gemahl;
Mich früher zu beweiben, das wäre Walthern zur Qual.“
So sprach der junge Degen und täuschte seinen Herrn;
Von seines Volkes Größe, die Rede hört‘ er gern.
So ließ er sich berücken und drang nicht mehr in ihn:
Der fromme Walther, dacht er, wird seinem Herrn nicht entfliehn.